mehr als ich

Wenn ich es nicht sehe, warum erfinde ich es nicht

moving memory hinterfragt die (Re-)Konstruktion von Gedachtem und ‚Er’Dachtem´. Mittels Zeitbezügen und Verweisen entsteht im ersten Prozess der Versuch ein ‚gespiegeltes‘ Gedächtnis zu visualisieren.

Moving Memory // Dokumente

Das Verlobungsbuch meiner Lieblingsoma Gerda finde ich zwischen den Socken meines Vaters, als ich acht Jahre alt bin. Ich kann gerade lesen, doch die Geschichten aus: „Mein Leben mit dir“ nisten sich fortan in mein Gehirn und werden zu meinen „stummen lebendigen“ Begleitern. Ich sehe meine strahlend blonde Oma als junge Frau mit einem Bauchladen auf den Gleisen stehen. Sie muss Essen für das Weihnachtsfest der Familie besorgen. Ich denke: Was für eine selbstbewusste, kämpferische Oma du hast. Vierzig Jahre später lese ich die gleiche Geschichte ganz anders und verstehe ein wenig mehr ihren Überlebenskampf. Ihr Lebenswille liest sich wie ein romantisches Essay. Auf einer Hamsterfahrt im Winter 1945 kurz nach Kriegsende, lernt Gerda ihren Helmut kennen. Das Leben der beiden verläuft ab dato turbulent. Nach zögerlichen Annährungsversuchen kommt es zu ihrer ersten stillen Liebesnacht im Bunker.

Mein Leben mit Dir
Was weiss ich, wenn ich nicht weiss?
Ordner // Dokumente

Als ich klein war, habe ich unter den Tischen der Erwachsenen gesessen, um ihre Geschichten zu hören. Fragen stellen durfte man als Kind nur in Ausnahmefällen. Meine Eltern hatten nicht die Geduld, mir länger als drei Sätze lang zuzuhören, dann war eindeutig Schluss. Abends zog sich mein Vater in den Keller zurück, um „zu sortieren“. Die Wände hingen voller Gegenstände. Papa nagelte alles an die Wand, um es jederzeit vor Augen zu haben. In seinen allabendlichen Ritualen notierte er Ereignisse und machte sich Notizen. Seine Beschäftigung mit dem Aus- und Umsortieren von Schriftstücken und Bildern war sein Zeitvertreib und seine Lieblingsbeschäftigung. Ich kenne zu fast allen Gegenständen und Dokumenten eine Geschichte.

(c) britta wandaogo
Durchgangslager Siegen // Gerda und Helmut + Ein Kind