1200 brutto

Kölner Medienpreis  in der Kategorie Kamera
Preis – Blicke aus dem Ruhrgebiet

1200 brutto ist ein Film, der vor allem durch die Kameraarbeit besticht. Das Auffällige an Britta Wandaogos Kamera ist – und das mag zunächst absurd klingen – ihre Unauffälligkeit. Gerade dort, wo das Leben bedeutsam ist, bei Andy Zuhause, scheint alles Trennende zwischen den handelnden Personen und dem Zuschauer zu verschwinden. Von einer Distanz, die eine Fernsehkamera schafft, ist hier nichts zu spüren. Es scheint fast, als würden die Beteiligten die Anwesenheit von Kamera und Autorin einfach vergessen. Auf diese Weise entsteht ein Film, der erfahrbar macht, wie nah Existenzwille, Hilflosigkeit und Liebe in dieser Familie beieinander liegen. Ein Film, der dem Titel der Reihe alle Ehre macht, eine Geschichte von fünf, fast sechs Menschen ‚hautnah’, so die Begründung der Jury.  www.koelner-medienpreis.de

Andy at work

Andy 1200 BruttoSowohl Titel als auch Ansinnen der zweiteiligen Reality-Doku lassen für den Arbeiter in der Papiermüllverwertung das Schlimmste befürchten. Außereheliche Sozialexperimente (Frauentausch) oder pädagogisch minderbemittelte Eltern (Die Super Nanny) halfen in den letzten Jahren im Privatfernsehen sozialpornografische Gelüste zu stillen. Das Scheitern anderer, die zur Schau gestellte Not und Verzweiflung dient wie einst mittelalterliche Schauprozesse der Volksbelustigung und ist auf solche Weise wesentlicher Teil des medialen Ausbeutungssystems. Das Leben von Andy beispielsweise ließe sich prima verscherbeln. Sowohl Titel als auch Ansinnen der zweiteiligen Reality-Doku von Britta Wandaogo, „Andys Knochenjob – 1200 brutto“, lassen für den Arbeiter in der Papiermüllverwertung schon das Schlimmste befürchten. Doch der nun zum zweiten Mal auf 3sat ausgestrahlten Doku gelingt auf bemerkenswerte Weise Folgendes: Sie zeigt den im modernen Jargon dem Prekariat angehörigen Mann inmitten seiner schwerwiegenden Alltagsprobleme als einen von sämtlichen Stereotypen befreiten und durch seine Klarheit, Entschlossenheit und liebevolle Art in Würde strahlenden jungen Mann. Andy ist 21 Jahre jung und vierfacher Vater. Die Freundin und Mutter seiner Kinder spricht wenig und leidet, laut Jugendamt, an Antriebslosigkeit. Eine Räumungsklage steht an, weil die Wohnung zu klein sei (das vierte Kind wurde nach der Geburt gegen den Willen der Eltern einer Pflegefamilie übergeben). Wandaogos nahe, aber unaufdringliche Kamera zeigt nicht das fallende Opfer (wie so oft!), sondern einen starken, klugen, lieben Menschen, der in einem System, in dem es vorgeblich alle gut meinen (Behörden, Herkunftsfamilie, Arbeitgeber), keine Chance findet. Ein echtes Horváth’sches Drama. Der Standard Margarete Affenzeller; Printausgabe, 26.1.2011  www.derstandard.at

 

Leitartikel: HILFE

Darry und Plauen – die Ortsnamen kennzeichnen sehr unterschiedliche Fälle von Kindstötungen. Nun wird wieder nach sozialer Kontrolle gerufen, erhebt sich die ängstliche Frage: Können wir denn nichts tun? Am Tag danach dominieren die drängenden Fragen. Wie konnte das passieren? Hat denn niemand etwas gemerkt? Was ist los in Deutschlands Familien? Was passiert, wenn die „Super-Nanny“ abgeschaltet ist?

Am Tag danach beginnen die Expertisen der ersten Stunde bereits wieder zuzerfallen. (…) In der WDR-Reihe „Menschen hautnah“ hat die Filmemacherin Britta Wandaogo kürzlich auf eindrucksvolle Weise zeigen können, wie schmal der Grat zwischen familiärer Fürsorge, situativer Hilflosigkeit und Verzweiflung bisweilen sein kann. Über mehrere Monate hat die Filmemacherin das Leben des 21-jährigen Hilfsarbeiters Andy begleitet, der, hart für 1200 Euro brutto im Monat arbeitend, sich rührend um seine drei Kinder kümmert, aber letztlich an der Aufrechterhaltung der familiären Ordnung scheitert. Gewiss, äußere Anzeichen von Verwahrlosung waren zu erkennen, aber auch ein ungebrochener Mut, sorgend für die Familie da zu sein. Andys naivem Optimismus steht eine weitgehende Chancenlosigkeit auf Realisierung des familiären Glücks gegenüber. Am Ende schritt das Jugendamt ein. Die überforderte Familie musste das vierte Kind zur Adoption freigeben. Der Film ist deshalb so bewegend, weil er jenseits aller Klischees von Alkoholmissbrauch und anderen Willensschwächen ein menschliches Drama mitten in Deutschland aufzeichnet, bei dem nicht auszumachen ist, ob privates Unvermögen, ein überfordertes Umfeld oder die Verhältnisse an der sichtbaren sozialen Misere schuld sind. Erscheinungsdatum 06.12.2007 www.fr-online.de VON HARRY NUTT

 

Ein junger Mann steht im Dreck. Für 1200 brutto. Das Leben geht weiter. Die Überforderungen auch. Der Film, den wir mit dem Nebenpreis des diesjährigen Festivals „Blicke aus dem Ruhrgebiet“ auszeichnen, bringt uns die Lebenswelt eines 21 jährigen Mannes nahe, der seit dem 14. Lebensjahr hart arbeitet, um seine vierköpfige Familie zu ernähren. Momentan verdient er 1200 EURO brutto. Andy ist der Jury durch den respektvollen Umgang der Filmemacherin Britta Wandaogo sehr nahe gebracht worden. Sie hat uns einen Mann vorgestellt, der auf den ersten Blick jedes Klischee des Asozialen erfüllt. In einer Zeit, in der das Wort Gutmensch fast schon eine Beleidigung ist, zeigt sie uns einen liebevollen Vater, der ohne Schulbildung, ohne tragendes soziales Netzwerk einen Weitblick für die Gegenwart entwickelt hat. www.blicke.org