Nichts für die Ewigkeit

Donnerstag, 10. November 2011 um 16.00

Nichts für die Ewigkeit
von Britta Wandaogo
D 2011 | Farbe | 81 Min. | Uraufführung

Eine Reise in die eigene familiäre Vergangenheit und in eine andere Zeit.
Eine Geschwisterliebe, die ihre Höhen und Tiefen durchläuft.

Duisburger Filmwoche

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Von Michael Sennhauser | 11. November 2011 – 11:10
Artikel | Review

Ein Film wie ein Rückfall. Oder stimmt das doch nicht? Es kommt selten vor, dass es mich so schüttelt im Kino, und noch seltener, dass ich an einer der Duisburger Diskussionen emotional Achterbahn fahre. Ist die Frau da oben auf dem Podium, die uns eben das Leben und das Sterben ihres heroinsüchtigen Bruders vorgeführt hat, bei Trost? Ist der Film Trost? Ich weiß nicht, was mich mehr fasziniert: Die ruhige, klare und direkte Art, wie Britta Wandaogo mit den Fragen zu ihrem Film umgeht, oder der Gedanke daran, was die Frau für eine Entwicklung hinter sich hat, wie sie es geschafft hat, nicht nur zu überleben, sondern dies gleichzeitig innerhalb und außerhalb der kleinbürgerlichen Vorgaben ihrer Herkunft. Am Ende der Diskussion bin ich hingerissen, mehr als her. Und ich habe in meiner eigenen Arroganz wieder einmal einen Dämpfer erfahren: Man kann die Welt offensichtlich auch spüren, nicht nur klassifizieren. Dem Film ist mit Worten von außen noch schwieriger beizukommen, als von innen heraus, darum Wandaogos eigene Worte vorab:

Meine erste Videokamera 1993. Dirk und ich sitzen im Bett und filmen uns gegenseitig. Ich sage zu ihm:

„Ich bin jetzt 27 Jahre alt und total fertig…, aber vorher bringe ich meinen kleinen Bruder noch auf Hoch!“

Was auch immer damals mein Vorhaben war, ab dieser Zeit habe ich unzählige Situationen mit uns gemeinsam gefilmt, unser Leben „zwischendurch“ mit der Kamera festzuhalten war Schutz und Erinnerung zugleich.

Dirk das „leidige“ Zentrum unserer Familie über den viel geredet wurde.

Dirk starb, unsere Familie brach auseinander – doch Dirk war meine Familie! Mit ihm verband mich eine Nähe, ein Humor, der vielleicht nur zwischen Bruder und Schwester existieren kann. Seine Heroinsucht war eine Begleiterscheinung mit der wir beide leben mussten – immer getragen von dem Gedanken, dass er da irgendwie rauskommt.

Das Material, das Wandaogo zur Verfügung hatte, waren Stunden um Stunden von Aufnahmen, die sie – immer mehr oder weniger aus der Hand heraus – in Gesellschaft ihres Bruders gedreht hatte. Er verladen, oder schlafend, aufwachend, charmant, immer wieder charmant, dann wieder völlig drauf, inkohärent und verzweifelt. Britta Wandaogo manchmal im Bild, von ihm gefilmt, als Co-Abhängige von ihm klassifiziert, herabgesetzt und geliebt und ausgenutzt und aufgestellt: Material, das vor Spannung bebt. Schon die ersten Einstellungen platzen von Symbolkraft: Dirk fährt mit dem Motorrad vor, irgendwo im Süden in Dschungelnähe, die Schwester steigt hinten auf, hält immer weiter die Kamera, rasante Fahrt. Und schließlich bleibt das Motorrad im Schlamm stecken bis über die Naben.

Wandaogo wird Mutter, Dirk damit Onkel. Das kleine Mädchen liebt den Onkel; das nicht mehr ganz so kleine Mädchen heult, weil der Onkel schon wieder sein Zimmer bei der Großmutter besetzt und das danach wieder renovationsbedürftig sein wird.

Nichts für die Ewigkeit funktioniert als Film wie die Punk-Version von Thomas Imbachs Day is Done. Die Intimität, das Private, das allzu persönliche wird zu dem was mich angeht, packt, schüttelt und weh tut. Unter anderem, weil es mir irgendwann nichts mehr nützt, den Süchtigen als Idioten ab zu tun, weil das nicht mehr funktioniert, angesichts seiner Bindungen, seiner Aura, seines Charmes und seiner eigenwilligen Lebensauslegung. Und dies wiederum funktioniert, weil die Schwester das alles preisgibt, mit Bedacht, mit Fleiß, mit perfektioniertem Können und bewusst filmischer Montage.

http://sennhausersfilmblog.ch/2011/11/11/duisburg-11-nichts-fuer-die-ewigkeit-von-britta-wandaogo/